Neuigkeiten 04.11.2022

GEW: Eine schallende Ohrfeige

IQB-Bericht zeigt schonungslos die Schwächen des Bildungssystems in NRW

Wie steht es um die Bildungspolitik? Diese Frage lässt sich mit Blick auf den aktuellen Bildungstrend des Instituts für Qualität im Bildungswesen (IQB) so beantworten: Alarmstufe Rot!

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Grundlegende Kompetenzen der Viertklässler*innen nehmen seit Jahren kontinuierlich ab, die soziale Spaltung im Bildungssystem hat sich verstärkt. Dringendes Handeln ist geboten.

Wie steht es um die Bildungspolitik? Diese Frage lässt sich mit Blick auf den aktuellen Bildungstrend des Instituts für Qualität im Bildungswesen (IQB) so beantworten: Alarmstufe Rot! Das IQB ermittelt mit seinen Bildungstrends regelmäßig, ob die von der Kultusminister*innenkonferenz (KMK) festgelegten Bildungsstandards erreicht werden. Der aktuelle Bildungstrend sagt nun deutlich: Nein – und es ist gibt ein starken negativen Trend.  

Desaströses Zeugnis für die Bildungspolitik

Die Leistungsniveaus der Viertklässler*innen in NRW und bundesweit haben insgesamt im Schreiben, Lesen, Zuhören und Rechnen abgenommen. Besonders deutlich ist die Abnahme zwischen 2016-2021, wobei ein ohnehin bestehender Negativtrend fortgeschrieben wird. Für NRW sind die Zahlen düster: 21,6 Prozent erreichen 2021 die Mindeststandards beim Lesen nicht, das sind sechs Prozent mehr als 2016. Noch heftiger fällt der negative Trend beim Zuhören aus: 23,3 Prozent verfehlen den Mindeststandard, fast 11 Prozent mehr als 2016. Im Fach Mathematik sind es rund 28 Prozent, die den Qualitätsstandards nicht genügen können. Bei der Orthografie können 32,6 Prozent die Mindeststandards nicht erfüllen. 

Besonders alarmierend sind die Befunde, dass sich die soziale Schieflage deutlich verstärkt hat: Die Kompetenzrückgänge von Kindern aus weniger privilegierten Haushalten (geringerer sozioökonomischer Status, geringeres kulturelles Kapital) sind deutlich größer als die von Kindern mit besseren Startbedingungen. Die soziale Schere geht auseinander. Der GEW-Stadtverbandsvorsitzende Ulrich Thoden wertete das Ergebnis als „Zeugnis für das jahrelange Versagen der nordrhein-westfälischen Schulpolitik.“

Soziale Herkunft legt immer stärker Bildungschancen fest 

GEW-Geschäftsführer Carsten Peters: „Und leider gilt: Die Ergebnisse verwundern nicht. Ein Bildungssystem, dass durch Mangel geprägt ist, verschärft die Nachteile, die durch die soziale Herkunft bestehen. Und das sogar ein Leben lang: Schlechte Bildungschancen führen häufig in schlecht bezahlte Beschäftigung und Arbeitslosigkeit. So verfestigen sich Armutslagen.“

Ist Corona schuld? Liegt es primär an der Zuwanderung von Menschen aus dem nicht-deutschen Sprachraum? Das greift aus Sicht der GEW zu kurz. „Zwar haben auch wegen der Pandemie die Kompetenzen abgenommen – wie sehr Kinder aber unter der Pandemie leiden mussten, war stark abhängig von ihrem Elternhaus. Und es stimmt, dass besonders auch Kinder mit internationaler Familiengeschichte Kompetenzverluste hinnehmen mussten. Dabei darf aber nicht außer Acht geraten, dass besonders Menschen mit internationaler Familiengeschichte und gerade solche der ersten Migrant*innengeneration ein signifikant höheres Armutsrisiko haben, als Nicht-Migrant*innen – und dadurch häufig eine eingeschränktere Wohnsituation, digitale Ausstattung und Möglichkeit des Elternhauses zu unterstützen und zu fördern (auch im Sprechen der deutschen Sprache). Dreh- und Angelpunkt ist also die sich verstärkende soziale Schieflage im Bildungssystem“, so Thoden weiter. Statt das Versagen der Bildungspolitik zu einem Problem exkludierter Randgruppen zu machen, muss Schwarz-Grün endlich die großen systemischen Probleme angehen, die allen seit Jahren bewusst sind. 

Endlich Bildung besser ausstatten

Jetzt muss schnell gehandelt werden, wir haben kein Erkenntnis-, sondern ein Handlungsdefizit: Die chronische Mangelverwaltung im Bildungsbereich muss enden. NRW investiert seit Jahren zu wenig in Bildung und belegt traditionell im Vergleich der Bundesländer hier den letzten Platz. Das ist eine Folge politischer Entscheidungen, kein Naturgesetz. 

Die Forderung nach „mehr Geld“ ist zwingend – aber alleine nicht genug: Es braucht einen echten Sozialindex mit guter Ausstattung, der die Mittel tatsächlich so verteilt, das Ungleiches tatsächlich und ernsthaft ungleich behandelt wird, um Chancengleichheit endlich herzustellen. 

„Mehr Lehrer*innen, Entlastung der Lehrer*innen und mehr Zeit für die pädagogische Arbeit, multiprofessionelle Teams und kleinere Klassen, mehr passgenaue Sprachförderung sowie mehr Ganztag – das brauchen die Grundschulen in NRW. So wird die Arbeit an Grundschulen auch (wieder) attraktiv für den Lehrernachwuchs“, so Thoden und Peters.

Mit der Anhebung der Eingangsbesoldung auf A 13 versucht die Landesregierung hier erste Schritte zu gehen und setzt eine langjährige GEW-Forderung endlich um. Dafür will sie sich jedoch lange Zeit lassen. Fatal, da der aktuelle Handlungsdruck enorm ist.